Das Land Hessen lag in Trümmern, eine Diktatur und einen unseligen Krieg hinter und eine ungewisse Zukunft vor sich.
Dennoch oder gerade deswegen: Die Demokratie kehrte zurück und eine der Wegmarken war die hessische Verfassung, die am 01.Dezember 1946 in Kraft trat. Und diese durch eine Volksabstimmung legitimierte Verfassung trägt u.a. die Unterschrift des 1912 in Skalat bei Tarnopol (Galizien) geborenen Leopold Bauers, der dem „Vorbereitenden Verfassungs-ausschuß“ als Vertreter der KPD angehörte.
Zum „Erfolgsmodell Hessen“ haben auch andere Deutsche aus Polen in herausragender politischer Funktion beigetragen, wie der ehemalige hessische Justizminister Karl Hemfler, 1915 in Lodz geboren.
Von 1969 bis 1974 vertrat der Sozialdemokrat u.a. Hessen als Bevollmächtigter im Bundesrat und er engagierte sich nachdrücklich für die Resozialisierung Straffälliger.
Die touristische Attraktivität der Stadt Rüdesheim und des Rheingaus verbesserte nachhaltig der christdemokratische Bürgermeister und spätere Landrat Klaus Dinse.
Während der Amtszeit des 1912 in Schwerin / Warthe Geborenen wurde u.a. die Seilbahn von Rüdesheim zum Niederwalddenkmal errichtet.
In der Landespolitik setzten die folgenden Landtagsabgeordneten Akzente bei der Gestaltung Hessens, die in der ehemaligen Provinz Posen geboren wurden:
- Marianne Gründer ( geb.1907 in Posen)
- Wolfram Heyn (geb.1943 in Schneidemühl)
- Max Lippmann ( geb. 1906 in Posen)
- Hans von Ploetz (geb.1904 in Bromberg)
- Ernst Günther Stegmann (geb. 1900 in Kaczagorka /Kreis Koschmin)
Aus Anlass der Jubiläen „Patenschaft des Landes Hessen über die Landsmannschaft Weichsel-Warthe“ und „Begründung einer Partnerschaft Bundesland Hessen-Wojewodschaft Wielkopolska hat die Anna Elisabeth Balde –Stiftung das Buch „In der Mitte Europas: hessisch-polnische Beziehungen herausgegeben, in dem die Verbindungen Hessens zu den Siedlungsgebieten der Deutschen aus Polen bzw. zur Wojewodschaft Wielkopolska dargestellt werden.
Zur Avantgarde der deutsch-polnischen Verständigung und Versöhnung – und das mitten im „Kalten Krieg“ – zählt zweifelsohne ein Deutscher aus der Provinz Posen: Prof.Dr. Gotthold Rhode, geboren 1916 in Kamillenthal/ Kreis Schildberg.
1964 initiierte der Osteuropa-Historiker, Funktionär der Landsmannschaft Weichsel-Warthe und langjähriger Vorsitzender der Historisch-Landeskundlichen Kommission für Posen und das Deutschtum in Polen, die „Lindenfelser Gespräche -eine der ersten Bestrebungen eines deutsch-polnischen Dialogs in einer Zeit der Sprachlosigkeit bzw. der gegenseitigen Vorwürfe.
Und ab 1972 engagierte er sich intensiv in der „Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission“ – eine der zentralen Plattformen der diskursiven Kooperation zwischen Historikern und Geographen beider Länder. Er arbeitete dabei eng mit Władislaw Markiewicz (geb. 1920 in Ostrow /Wielkopolska), Vorsitzender der polnischen Delegation der Schulbuchkommission zusammen, der 1941 als Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft nach Hessen deportiert worden war.
Ungeachtet der aktuellen Diskussionen über Polen ist Hessen einer der Förderer des „Deutschen Polen-Institutes“ in Darmstadt und leistet so einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Umsetzung des 1991 abgeschlossenen „Vertrages über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen“.
Gegründet wurde dieses Zentrum für polnische Literatur, Geschichte und Gesellschaft 1980 auf Initiative des 1921 in Lodz geborenen Übersetzers und Schriftstellers Karl Dedecius.
Als sein Hauptwerk gilt neben der 50-bändigen „Polnischen Bibliothek“ das sieben Bände umfassende „Panorama der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts.“
Dies sind nur einige wenige Beispiele, die die Brückenfunktion der Deutschen aus Polen und das Bundesland Hessen zu unserem östlichen Nachbarland anschaulich darstellen.
Beide Staaten haben in dem „Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit“ 1997 den Beitrag Polens und Deutschlands zum gemeinsamen kulturellen Erbe Europas gewürdigt und die gegenseitige Durchdringung und Bereicherung beider Kulturen, die sich bereits seit Jahrhunderten vollzieht, begrüßt.
Das Buch „In der Mitte Europas“ beschreibt daher auf über 600 Seiten eindrucksvolle Beispiele des hessisch-polnischen Miteinanders- aber auch leider des Gegeneinanders.
Entstanden ist ein Lesebuch hessischer Landes – und europäischer Beziehungsgeschichte.
Harald Schäfer : In der Mitte Europas: hessisch-polnische Beziehungen. Borsdorf 2020 (620 Seiten)
ISBN: 978-3-96014-739-8) 14,90 €